Nadine Brauchli, was hält der VSE von der Vorlage, mit welcher der Bundesrat die Verfahren für den Netzausbau beschleunigen will?
Den Netzexpress braucht es unbedingt. Denn der von der Bevölkerung beschlossene Ausbau der inländischen Stromproduktion setzt voraus, dass wir im Gleichschritt die Stromnetze weiterentwickeln. Viele Vorschläge des Bundesrats gehen in die richtige Richtung, wie etwa der Freileitungsgrundsatz für das Übertragungsnetz oder, dass Übertragungsleitungen an bestehenden Standorten einfacher ersetzt werden sollen. Das reicht aber nicht. In der Vorlage fehlen zudem Beschleunigungsmassnahmen für die Verteilnetze.
Was schlägt der VSE konkret vor?
Alle Leitungen, die für den Anschluss von Produktionsanlagen von nationalem Interesse nötig sind, müssen auch ein nationales Interesse erhalten. Es macht keinen Sinn, dass eine alpine Solaranlage oder ein Windpark nicht produzieren kann, weil die Netze nicht rechtzeitig bereitstehen. Der Ausbau von Produktion und Netzen muss parallel und zeitgleich erfolgen. Es braucht deshalb auch klare Regelungen für die Standortgebundenheit ausserhalb der Bauzone: nicht nur für Produktionsanlagen, sondern auch für die Leitungen und Transformatorenstationen, die nötig sind, um die Energie aus diesen Anlagen abzutransportieren und zu verteilen.
Der notwendige Ausbau von dezentralen PV-Anlagen und der steigende Verbrauch, etwa für die Elektromobilität, fordern hauptsächlich die unteren Netzebenen. Wo besteht hier der Handlungsbedarf?
Es braucht diverse Netzverstärkungen sowie viele neue Transformatorenstationen, die irgendwo gebaut werden müssen und nicht wie Stromkabel erdverlegt werden können. In Dörfern und Quartieren fehlt innerhalb der Bauzonen jedoch oft der Platz oder die Bereitschaft von Grundeigentümern, Land für Trafostationen oder Verteilkabinen zur Verfügung zu stellen. So braucht es oftmals viel Zeit und zusätzlichen Kostenaufwand, um akzeptable und machbare Lösungen innerhalb der Bauzonen zu finden, was den Bau dieser Infrastrukturen mindestens verzögert oder sogar ganz verhindert. All das bremst den Umbau des Energiesystems massiv aus, zumal die Anzahl von Anschlussgesuchen und der Bedarf für Netzverstärkungen wächst, und es ärgert natürlich auch Private, weil sie sich gedulden müssen, bis sie ihre PV-Anlagen auf dem Dach installieren können. Insofern braucht es auch Möglichkeiten, Trafostationen und Verteilkabinen auch ausserhalb der Bauzonen zu erstellen.
Und was ist mit den Netzverstärkungen?
Viele Netzausbauten auf den untersten Netzebenen sind unbestritten und einfach umzusetzen. Diese Vorhaben müssen Netzbetreiber schneller realisieren können, damit es weniger Verzögerungen beim Anschluss einer PV-Anlage oder der Installation einer E-Ladestation gibt. Es sollte künftig genügen, wenn die unbestrittenen Vorhaben formell erst nachträglich von der zuständigen Behörde genehmigt werden.
Einen Beschleunigungseffekt erhofft man sich auch, indem Zuständigkeiten und Kompetenzen unter den Behörden geklärt werden. Wie soll das ausgestaltet sein?
Insbesondere die Zuständigkeit zwischen dem Eidgenössischen Starkstrominspektorat (ESTI) und dem Bundesamt für Energie (BFE) muss effizienter geregelt werden. Wir vertreten den Standpunkt, dass das ESTI mehr Kompetenzen zur Bereinigung von Einsprachen und zur Erteilung von Teilgenehmigungen haben muss. Indes müssen Vorhaben, die das ESTI aufgrund grosser Differenzen oder ihrer politischen Tragweite nicht bereinigen kann, frühzeitig und möglichst ohne riesigen administrativen Aufwand ans BFE überwiesen werden können.
«Vor dem Experiment mit der Versorgungssicherheit, die Kapitalrendite zu senken, warnen wir vehement.»
Der Netzausbau erfordert in den kommenden Jahren hohe Investitionen. Gleichzeitig will der Bund die Kapitalrendite des in die Netze investierten Kapitals senken. Das ist doch ein Widerspruch?
Es ist sehr gefährlich, stabile Rahmenbedingungen, die langfristige Investitionen in die kritische Energieinfrastruktur betreffen, aufgrund eines kurzfristigen, politisch motivierten Anliegens über den Haufen zu werfen. Die heutige Berechnungsmethode der Rendite des in Netze und Produktionsanlagen investierten Kapitals (WACC, Weighted Average Cost of Capital) ist wissenschaftlich begründet, hat sich bewährt und führt zu einer angemessenen Kapitalverzinsung. Vor dem Experiment mit der Versorgungssicherheit, die Kapitalrendite zu senken, warnen wir vehement. Es könnte zum Bumerang werden.
Mit welchen negativen Auswirkungen ist zu rechnen?
Zum einen schmälert eine Senkung der Kapitalrendite die Investitionsbereitschaft bestehender und insbesondere auch potenzieller Investoren. Zum anderen stünden weniger Mittel für Reinvestitionen in die Energieinfrastruktur zur Verfügung. In den Nachbarländern führten die tiefen Zinsen dazu, dass während der zurückliegenden Tiefzinsphase schlussendlich der Staat und damit die Steuerzahler finanziell eingreifen mussten. Wir haben weltweit eines der stabilsten Stromnetze. Dieses fit für die Zukunft zu machen, wird etwas kosten. Ich bezweifle, dass Bevölkerung und Wirtschaft hier bereit sind, Abstriche zu machen.
Quelle: «Wir müssen auch Beschleunigungsmassnahmen für die Verteilnetze ergreifen» | VSE